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18.03.2021 / Sozialrecht EN

Corona: Rechtlicher Rahmen für Impfpflicht und Immunitätsnachweise

Kann die Regierung im Kampf gegen COVID-19 eine Impfpflicht einführen? Dürfen gegen das Coronavirus Geimpfte „privilegiert“ werden? Dürfen private Akteure Immunitätsnachweise verlangen? Diese und weitere Fragen beleuchten Lauren Tonti, Doktorandin am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik, und Stefan Schäferling, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Völkerrecht und öffentliches Recht der Ludwig-Maximilians-Universität, aus (verfassungs)rechtlicher Perspektive in ihrem Artikel "Corona-Impfstoff: Wunderwaffe oder neuer verfassungsrechtlicher Zankapfel". Die zentralen Punkte des in der Zeitschrift Covid-19 und Recht (COVuR) erschienenen Beitrags sind hier zusammengefasst:

 

Impfpflicht

Experten gehen davon aus, dass die weitere Verbreitung des Coronavirus erst dann aufgehalten werden kann, wenn 70% der Bevölkerung dagegen immun sind. Unklar ist jedoch, ob so viele Menschen in Deutschland bereit sind, sich gegen das Virus impfen zu lassen. Immer wieder wird daher die Frage gestellt, ob die Einführung einer Impfpflicht ein geeignetes Mittel ist, um Herdenimmunität zu erreichen. Die staatliche Einflussnahme auf die Impfentscheidung Einzelner ist ein gesellschaftlich hoch emotionales Thema, das in der Vergangenheit immer wieder kontrovers diskutiert wurde. Die beiden Rechtswissenschaftler betonen, dass eine allgemeine Impfpflicht einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte darstellt und daher mit besonders hohen rechtlichen Hürden verbunden ist. Die Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes sehen die Autoren daher als sehr unwahrscheinlich an.

Eine Impfpflicht für bestimmte Bevölkerungsgruppen, wie man es bereits von der Tetanusimpfpflicht für Soldat/innen kennt, ist hingegen durchaus denkbar. Beispielsweise könnten Bevölkerungsgruppen, die aufgrund ihres Berufes (z.B. Beschäftigte mit hohem Expositionsrisiko) ein höheres Risiko für eine Infektion mit COVID-19 haben, zu einer Impfung verpflichtet werden. Aber auch eine partielle Impfpflicht braucht eine entsprechende Rechtsgrundlage: Die beamtenrechtliche Gesunderhaltungspflicht könnte hier eine Impfpflicht für beispielsweise Lehrer/innen oder Polizist/innen rechtfertigen. Der Staat sollte jedoch, sofern möglich, den von der Impfpflicht Betroffenen zumindest die Entscheidung überlassen, welchen Impfstoff sie erhalten möchten.

Im Sinne des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sind allerdings andere staatliche Maßnahmen, mithilfe derer eine möglichst hohe Impfquote erreicht werden kann, einer (partiellen) Impfpflicht vorzuziehen. Dazu gehören beispielsweise Aufklärungskampagnen und Impfberatungen.

 

„Privilegien“ für Geimpfte?

Geimpfte von Beschränkungen geltender Corona-Maßnahmen auszunehmen, setzt zum einen voraus, dass die Impfung auch vor einer Weiterverbreitung des Virus schützt, und zum anderen, dass genügend Impfstoff vorhanden ist. Die Rede von einer Privilegierung ist indes irreführend. Im Falle eines verlässlichen Immunitätsnachweises fehlt schlicht die Grundlage zur Fortführung von Grundrechtseinschränkungen. Mit der Immunität und dem fehlenden Risiko der Weiterübertragung des Virus besteht zudem ein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung von Immunisierten und jenen, die nicht immun sind. Die Beschwörung von Solidarität in der Bevölkerung durch die Politik ist, obwohl nachvollziehbar, kein verfassungsrechtlich tragfähiges Argument zur Rechtfertigung einer Gleichbehandlung.  

 

Immunitätsnachweise

Die Forderung eines Immunitätsnachweises durch Private zur Nutzung einer Dienstleistung oder zum Besuch von Veranstaltungen ist nach Auffassung von Tonti und Schäferling nicht ganz unproblematisch. Obwohl für Private deutlich größere rechtliche Spielräume als für den Staat bestehen, gelten auch für sie gleichheitsrechtliche Anforderungen, wenn es um die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben geht. Die Frage, ob der Ausschluss Nicht-Immunisierter von bestimmten Leistungen diese bei der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben beeinträchtigt, bleibt jedoch eine Einzelfallentscheidung. Die Notwendigkeit eines Immunitätsnachweises würde zudem nicht nur weitere Fragen der Gleichbehandlung (z.B. Impfstoffzugang) aufwerfen, sondern auch Fragen rund um das Datenschutzrecht und die Sicherheit von Immunitätsnachweisen.