Warum trifft die Corona-Krise Beitragszahler finanziell stärker als Rentner?
Auf Grund mehrerer Faktoren sind Rentnerinnen und Rentner finanziell weniger stark von der Corona-Krise betroffen als die Erwerbstätigen. Paradoxerweise werden Rentner sogar durch die Effekte der Krise langfristig bessergestellt. Dies hat unterschiedliche Gründe, die hier erläutert werden:
Zunächst treten Rentenanpassungen immer ein bis zwei Jahre zeitversetzt ein. Krisenbedingte Lohnverluste der Beitragszahler treten hingegen unmittelbar ein: So stieg die Zahl der Arbeitslosen(1), sowie die der Kurzarbeiter ab März/April 2020 stark an(2). Die Rentnerinnen und Rentner haben hingegen im Corona-Jahr 2020 noch eine Rentenerhöhung erhalten, die durch die positiven wirtschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Jahre bedingt war. Die Renten stiegen damals zum 1. Juli 2020 an(3). Grundsätzlich ist dieser Effekt in der Rentenversicherung bekannt und nur insofern problematisch, als steigende Renten bei stagnierenden oder gar fallenden Löhnen und Gehältern in der Gesellschaft zu Unverständnis führen können. Solche Rentensteigerungen sind, auch wenn sie zu einem ungünstigen Zeitpunkt auf Grund der COVID-19 Krise kamen, fair in dem Sinne, dass es den Rentnern zusteht, an der positiven Entwicklung der Vorjahre teilzuhaben.
Durch das Sinken der Lohneinkünfte aufgrund der unmittelbaren Effekte der Krise auf den Arbeitsmarkt seit 2020 wird allerdings nun auch das Sicherungsniveau der Renten ansteigen(4). Das bedeutet, dass sich das prozentuale Verhältnis von Lohn (Durchschnittsentgelt) zu (Standard)Rente in Richtung 50 Prozent bewegt und möglicherweise sogar noch darüber bewegen wird. Normalerweise würde das Sicherungsniveau sich im weiteren Verlauf der Krise und insbesondere in den Jahren nach der Krise wieder an das Lohnniveau anpassen. Die zukünftigen Anpassungen der Renten an die krisenbedingt stagnierenden oder gar negativen Lohnentwicklungen würden die Renten eigentlich mit der gleichen Verzögerung stagnieren oder gar fallen lassen. Allerdings gibt es eine 2005 eingeführte Regelung im deutschen Rentenrecht, die ein Absinken des Rentenwertes verhindert: die Rentengarantie. Das bedeutet, dass die Renten zwar stagnieren können und nicht mehr steigen, aber Rentner keine Verluste, wie die Beitragszahler durch gesunkene Lohneinkünfte in den Jahren zuvor, verschmerzen müssen. Somit blieben die Renten im Jahr 2021 auch weitestgehend konstant im Westen bei leichter Angleichung der Renten Ost an die Renten West zum 1. Juli 2021 um 0,72 Prozent(5). Die Rentengarantie kam bereits nach der Finanzkrise 2008 zum Tragen und schützte damals die Rentner. Damit aber alle Generationen denselben Beitrag zur Abfederung der Krise leisten, wurde diese Absicherung der Rentner mit dem sogenannten Nachholfaktor in den Folgejahren wieder ausgeglichen. Das heißt, die Rentensteigerungen, gekoppelt an die Lohnentwicklung, fielen durch den Nachholfaktor geringer aus, um das Gleichgewicht zwischen Alt und Jung wiederherzustellen. So leisteten die Rentner einen auf mehrere Jahre verteilten Beitrag zur Bewältigung der Krise und der durch die Krise zunächst positive Effekt auf das Sicherungsniveau wurde langfristig wieder abgebaut.
Zwischenfazit: Rentner haben also im Corona-Jahr 2020 eine Rentenerhöhung erhalten und auch 2021 keine Kürzungen wegen der Krise befürchten müssen.
Jetzt kommen wir nun zu der Frage, ob die Rentner sogar finanziell von der Krise profitieren:
Zukünftig ist zu erwarten, dass die Löhne wieder ansteigen. Davon werden die Rentner – ebenfalls wieder zeitversetzt um ein bis zwei Jahre – profitieren, voraussichtlich im Jahr 2022. Aktuelle Prognosen für 2022 aus einem Entwurf des Rentenversicherungsberichts 2021 gehen gemäß Medienberichterstattung von Rentenerhöhungen von über 5 Prozent aus(6). Ein Grund dafür ist, dass die Bundesregierung mit dem Rentenpakt 2018 und der Einführung der „doppelten Haltelinie“ den Nachholfaktor bis 2025 ausgesetzt hat. Somit werden die Rentner also voll am „Aufschwung“ beteiligt, obwohl sie beim „Abschwung“ keine negativen Einbußen hatten. Der Nachholfaktor wird zwar gemäß geltendem Gesetz nach 2025 wieder eingeführt. Dies ist jedoch zu spät, um die nachzuholende Abmilderung der Rentensteigerungen vor 2025 zu berücksichtigen. Das in diesem Sinne „zu hohe“ Sicherungsniveau bleibt nach überwundener Krise also permanent bestehen.
Daher ist zu erwarten, dass die Rentner weniger an Kaufkraft verlieren als die Beitragszahler. Absolut werden die Rentner also nicht von der Krise profitieren, relativ zu den Arbeitnehmern aber schon.
Durch die bis 2025 gültige doppelte Haltelinie wird übrigens auch der Anstieg des Beitragssatzes (aktuell 18,6%) bei 20% gedeckelt. Infolgedessen muss zukünftig mit höheren Bundesmitteln für die gesetzliche Rentenversicherung gerechnet werden.
Diese Steuermittel müssen von allen Steuerzahlern aufgebracht werden, also sowohl von den Rentnern als auch der jüngeren Generation. Wie genau die Gewichte verteilt werden, hängt von der Finanzierung des Bundeshaushalts ab. Der erhöhte Finanzbedarf könnte durch eine Erhöhung der Einkommensteuer, der Verbrauchssteuern oder einer Mischung verschiedener Steuerarten gedeckt werden. Durch die Einkommenssteuer werden nach Einführung der nachgelagerten Besteuerung sowohl Rentner als auch Erwerbstätige erfasst; Rentner allerdings auch langfristig in deutlich geringerem Umfang. Der zweite große Einnahmeblock des Bundeshaushalts ist die Mehrwertsteuer. Auch diese dürfte die ältere Generation weniger belasten als die jüngere, da die Konsumausgaben der jüngeren Generation in der Regel höher sind. Auch in dieser Hinsicht wirkt sich die Krise asymmetrisch, d.h. tendenziell zugunsten der Rentner und zulasten der jüngeren Generation aus.
Publikationen:
Börsch-Supan, Axel; Rausch, Johannes: "Lassen sich Haltelinien, finanzielle Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit trotz der Corona-Pandemie miteinander verbinden?", MEA Discussion Paper 01-2021, online abrufbar >> hier
Börsch-Supan, Axel; Rausch, Johannes: „Corona-Pandemie: Auswirkungen auf die gesetzliche Rentenversicherung“, ifo Schnelldienst 4 / 2020 73. Jahrgang 15. April 2020, online abrufbar >> hier
Bei Fragen oder Interview-Wünschen wenden Sie sich bitte an Verena Coscia, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Tel: 089/38602-442, Email: coscia (at) mea.mpisoc.mpg.de
(Redaktioneller Hinweis: Die >> erste Version dieses Beitrages ist bereits im Mai 2020 erschienen, diese wurde im November 2021 aktualisiert.)
(1) Informationen der Deutschen Rentenversicherung zur Rentenanpassung 2021
(2) https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/renten-erhoehung-ost-west-101.html
(3) Information der Deutschen Rentenversicherung vom 20.03.2020
(4) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/576064/umfrage/standardrentenniveau-der-grv-in-deutschland/
(5) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1239/umfrage/aktuelle-arbeitslosenquote-in-deutschland-monatsdurchschnittswerte/
(6) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/2603/umfrage/entwicklung-des-bestands-an-kurzarbeitern/