Am Ziel vorbei: Grundrente schafft neue Ungerechtigkeiten
Eine aktuelle Studie des Munich Center for the Economics of Aging (MEA) kommt zu dem Ergebnis, dass die im Januar 2021 in Deutschland eingeführte Grundrente neue Ungerechtigkeiten schafft: knapp 24% der nicht-anspruchsberechtigten Rentnerinnen und Rentner sind arm im Sinne des neuen Gesetzes. Gleichzeitig gehören 21% der Förderberechtigten zur vermögensreicheren Hälfte der deutschen Rentnerinnen und Rentner.
„Die Grundrente schafft auf zwei Arten neue Ungerechtigkeiten“, erklärt MEA-Direktor Axel Börsch-Supan. „Zum einen werden Menschen von der Grundrente ausgeschlossen, weil sie nicht auf die Anzahl der Jahre kommen, da sie beispielsweise in Teilzeit gearbeitet haben, vor allem Frauen. Auf der anderen Seite gibt es durchaus Grundrentenempfänger, die ein überdurchschnittliches Vermögen haben“, so Börsch-Supan.
MEA-Wissenschaftler haben sich das neue Gesetz angesehen und untersucht, wer von der Grundrente profitiert – und wer nicht:
Viele Einkommensschwache haben keinen Anspruch
Auf der einen Seite gelten den MEA-Berechnungen zur Folge 23,9% derjenigen Rentnerinnen und Rentner, die keinen Anspruch auf den Zuschlag zur Rente haben, als arm. Auf der anderen Seite verfügen 21% der anspruchsberechtigten Rentnerinnen und Rentner über ein Vermögen oberhalb des Median-Vermögens aller Rentner:innen. 9,4% der Anspruchsberechtigten besitzen sogar mehr als das doppelte des Median-Vermögens aller Rentnerinnen und Rentner.
Zudem haben sich die MEA-Wissenschaftler mit der Frage befasst, wie sich die Einbeziehung von Vermögen im Rahmen der Einkommensprüfung auf die Anzahl der Anspruchsberechtigten auswirken würde.
69% der Grundrentenberechtigten hätten bei Einbeziehung von Vermögen keinen Anspruch
7,1% aller RentnerInnen haben nach der einfachen Einkommensprüfung, so wie sie im Gesetzestext festgeschrieben wurde, Anspruch auf Grundrente. Würden weitere Vermögenswerte, wie z.B. Wohneigentum oder Kapitallebensversicherungen, bei der Einkommensprüfung mitberücksichtigt werden, wären lediglich 2,2% aller Rentnerinnen und Rentner anspruchsberechtigt. Mit anderen Worten bedeutet das, dass 69% der berechtigten Rentnerinnen und Rentner durch ihre Vermögenswerte über die im Gesetz definierte Einkommensschwelle gehoben werden.
Fazit der Wissenschaftler: Die Grundrente ist doppelt ungerecht: Das neue Gesetz erreicht zu wenige Personen, die Unterstützung benötigen, und gewährt zu vielen Personen Leistungen, die keine Hilfe benötigen.
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Literatur:
Börsch-Supan, A., Bucher-Koenen, T., Goll, N. and Hanemann, F.: “Targets missed: Three case studies exploiting the linked SHARE-RV data”, Journal of Pension Economics and Finance.
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Hintergrundinformationen:
Die Anspruchsvoraussetzungen und Ziele der Grundrente
Seit 1. Januar 2021 haben viele Rentnerinnen und Rentner durch das Gesetz zur Grundrente einen Anspruch auf einen Zuschlag zu ihrer gesetzlichen Rente. Die Grundrente erhält, wer mindestens 33 Jahre mit Grundrentenzeiten aufweisen kann und dabei zwischen 30-80% des Durchschnittsentgelts verdient hat. Für Rentnerinnen und Rentner mit 33-35 Grundrentenjahren gelten deutlich geringere Obergrenzen. Grundrentenzeiten umfassen neben Jahren mit sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung auch Zeiten der Kindererziehung, Pflege und andere versicherungsrelevante Zeiten; Zeiten in geringer Teilzeitquote und Mini-Jobs werden nicht berücksichtigt. Gleichzeitig werden volle Zuschläge nur an Haushalte ausbezahlt deren monatliches Haushaltseinkommen 1.250 Euro (Einpersonenhaushalte) bzw. 1.950 Euro (Paarhaushalte) nicht übersteigt. Weitere Vermögenswerte werden bei dieser einfachen Einkommensprüfung nicht berücksichtigt. Das Ziel der Grundrente ist es die Arbeitsleistung von Menschen mit langjährigen Versichertenbiographien und unterdurchschnittlichen Einkommen über Zuschläge zu den Rentenanwartschaften zu honorieren.
Die SHARE Daten
Die MEA-ForscherInnen verwenden für ihre Berechnungen den Datensatz SHARE-RV. Dadurch war es ihnen möglich den Haushaltskontext und das Vermögen von Grundrentenberechtigten in die Analyse einzubeziehen. SHARE, der Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe, ist eine Europäische Forschungsinfrastruktur, die das Leben europäischer Bürgerinnen und Bürgern aus gesundheitlicher, sozialer, wirtschaftlicher und umweltbezogener Perspektive untersucht. Sie bezieht dabei den gesamten Lebensverlauf der Befragten ein. Von 2004 bis heute wurden in 480.000 Interviews rund 140.000 Menschen im Alter von 50 Jahren oder älter aus 28 europäischen Ländern und Israel befragt. Somit ist SHARE die größte europäische sozialwissenschaftliche Panelstudie. Mehr Informationen: www.share-eric.eu.
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Pressekontakt:
Verena Coscia
coscia (at) mea.mpisoc.mpg.de