Asylrecht: Hyperaktiver Gesetzgeber zersplittert Schutzsystem | Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik - MPISOC
Home
Meldungen

Aktuelle News- und Pressemeldungen

21.10.2021 / Sozialrecht

Asylrecht: Hyperaktiver Gesetzgeber zersplittert Schutzsystem

Um die sogenannte "Flüchtlingskrise" zu bewältigen, hat der deutsche Gesetzgeber seit 2014 über 35 Änderungsgesetze erlassen. Diese gesetzgeberische Hyperaktivität hatte nicht nur negative Konsequenzen für das Funktionieren des Schutzsystems im Allgemeinen, sondern auch für die Rechte der Schutzsuchenden im Besonderen. Dies ist das Ergebnis einer rechtswissenschaftlichen Analyse von Dr. Constantin Hruschka und Tim Rohmann, die die Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik durchführten. Sie wurde jetzt in der Zeitschrift International Migration frei zugänglich veröffentlicht.

 

Mit der Vielzahl an Gesetzesänderungen rückte der im "Krisenmodus" agierende deutsche Staat zunehmend die Durchsetzung der Ausreisepflicht in den Vordergrund. Statt auf Maßnahmen zur Integration setzte der Gesetzgeber auf schnelle Asylverfahren und Abschiebungen und schuf zudem neue Möglichkeiten der Verhinderung von Teilhabe, beispielsweise durch die Beschränkung des Zugangs zu sozialen Rechten. Der Krisenmodus, der durch singuläre Ereignisse wie die Kölner Silvesternacht oder den Terroranschlag in Berlin 2016 befeuert wurde, führte zu einer Zersplitterung des Asyl- und Migrationsrechts, die in der Folge die Umsetzung der Vorschriften erheblich erschwert, Integrationschancen einschränkt und die Gefahr birgt, dass grundlegende menschenrechtliche Schutzstandards unterlaufen werden.

So wurde beispielsweise der ehemals einheitliche Rechtsstatus des "Asylbewerbers" aufgebrochen, indem nun das Herkunftsland als Rechtfertigung für eine unterschiedliche Behandlung herangezogen wird, was nicht nur gegen den Gleichheitssatz verstößt, sondern auch der Kohärenz des rechtlichen Rahmens insgesamt schadet. Auch die ehemals weitgehend einheitlichen Regeln für die Erteilung einer Duldung hat der Gesetzgeber durch die Einführung zusätzlicher rechtlicher Anforderungen weiter verkompliziert.

Da die Ausreiseverpflichtung von Personen mit einer Duldung nicht vollziehbar ist, hat der Gesetzgeber kurzerhand den Zugang zu sozialen Leistungen, zur Aufenthaltserlaubnis und zur Freizügigkeit eingeschränkt. Darüber hinaus wurde die Verhängung von Einreise- und Aufenthaltsverboten für Personen, die vermeintlich eine Sicherheitsgefährdung darstellen, erleichtert.

Um so genannte Pull-Faktoren zu reduzieren, nahm der Gesetzgeber viele der vor 2015 gewährten sozialen Rechte zurück. Zudem stufte er weitere Staaten als sichere Herkunftsländer ein (Albanien, Montenegro, Kosovo) und verhängte u.a. ein generelles Beschäftigungsverbot für Asylsuchende dieser Nationalitäten.

Im Ergebnis führt die legislative Hyperaktivität zu Verstößen gegen die im EU-Recht und Völkerrecht wie auch im deutschen Verfassungsrecht festgeschriebenen Normen. Die Autoren fordern den Gesetzgeber in ihrem Beitrag daher auf, seiner Verantwortung für die Regelung wesentlicher gesellschaftlicher Fragen, die potenziell in die Grundrechte eingreifen, gerecht zu werden und einen kohärenten Rechtsrahmen zu schaffen, der den Schutz menschenrechtlicher Mindeststandards gewährleistet.

Weitere Informationen zum Thema:

Projektseite "Migration und Integration"

FAQ zum Dublin-System