Dynamisierung des Rentenalters 2:1
(München, 24.01.2017) In der BILD Zeitung wurde unter dem Stichwort „Die 2:1 Formel / die neue Rentenformel" über einen Vorschlag berichtet, den Prof. Axel Börsch-Supan bereits 2007 machte und der u. a. von der OECD (2011) und dem wissenschaftlichen Beirat beim BMWI in einem aktuellen Gutachten aufgegriffen wurde. Anlass für die Berichterstattung der BILD Zeitung war eine Stellungnahme von Prof. Börsch-Supan bei der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am 23. Januar 2017: Zustimmung und Ablehnung zur Anhebung des Rentenniveaus.
Seinen Beitrag zur öffentlichen Anhörung finden Sie hier:
Stellungnahme zur Bundestagsanhörung am 23. Januar 2017 (Thema: Rentenpolitik) von Prof. Axel Börsch-Supan, Ph.D., Munich Center for the Economics of Aging (MEA) des Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik (MPISOC)
Kurzfassung:
- Die Ausdehnung des Prognosehorizontes der rentenpolitischen Eckdaten von 2030 auf 2045 ist zu begrüßen. Diese Eckdaten zeigen deutlich, dass die GRV keine finanziellen Spielräume hat und nach 2030 nicht nachhaltig finanziert ist.
- Auch in Zukunft wird die Kaufkraft der Renten steigen. Eine einseitige Fixierung des Rentenniveaus auf einen Prozentsatz, der den heutigen noch übersteigt, ist abzulehnen, weil sie dieses Nachhaltigkeitsproblem zu Lasten jüngerer Generationen noch weiter verschärfen und zu einer wirtschaftlichen Situation führen würde, die problematischer ist als diejenige vor dem Beginn der rot-grünen Koalition 2002.
- Da der einzige Grund für ein Absinken des Rentenniveaus nach 2040 die steigende Lebenserwartung ist, bietet es sich an, das Rentenalter so zu dynamisieren, dass sowohl Rentenbezugszeit als auch Lebensarbeitszeit ansteigen, und zwar in einem Verhältnis von 2:1. Dies macht die Finanzierung der GRV unabhängig von der jeweiligen Lebenserwartung. Damit würde bereits ab 2040 das Rentenniveau wieder ansteigen.
- Bei der Riester-Rente ist das Glas je nach Ansicht halb voll oder halb leer; gescheitert ist sie jedoch nicht. Sie hat deutlich mehr Haushalte im einkommensschwachen Segment erreicht als die betriebliche Altersvorsorge. Die Konstruktionsfehler beider Säulen sollten nicht durch eine Erhöhung der Förderung, sondern vor allem durch eine bessere Informationspolitik und die Einführung eines Standardprodukts nach schwedischem bzw. britischem Vorbild ausgeglichen werden.
Stellungnahme als Ganzes zum Download (PDF)
Im Folgenden ist der Vorschlag zur Dynamisierung des Rentenalters ausführlich wiedergegeben (Auszug aus dem Gutachten des BMWi):
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Automatische Anpassung der Regelaltersgrenze
Ein Anstieg der Lebenserwartung bedeutet bei konstanter Regelaltersgrenze, dass die Laufzeit der Rentenzahlung entsprechend steigt und die Rentnergeneration im Umlageverfahren länger auf Kosten der nachfolgenden Generation lebt, die dafür einen höheren Beitragssatz tragen muss. Auf der anderen Seite ist eine steigende Lebenserwartung in der Regel auch mit besserer Gesundheit und höherer Leistungsfähigkeit im 7. Lebensjahrzehnt verbunden. Will man die Relation zwischen der Länge des Erwerbslebens und des Ruhestands in etwa aufrechterhalten, so müsste bei einem Anstieg der Lebenserwartung um 3 Jahre das Rentenalter um 2 Jahre hinausgeschoben werden. Die Betroffenen könnten dann immer noch einen um 1 Jahr längeren Ruhestand genießen als ohne den Anstieg der Lebenserwartung.[1] Auf dieser Überlegung beruhte die im Volksmund „Rente mit 67" genannte Erhöhung der Regelaltersgrenze in der GRV im Zeitraum 2012 bis 2031, die im Jahr 2007 als RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz beschlossen wurde.
Steigt die Lebenserwartung weiter, so dürfte die Altersgrenze in den Folgejahren nicht bei 67 stehen bleiben, sondern müsste, wie z.B. von Börsch-Supan (2007) und OECD (2011) vorgeschlagen, automatisch so angepasst werden, dass sich Erwerbs- und Rentenbezugszeit im gleichen Verhältnis 2:1 verlängern. Viele Politiker scheuen jedoch eine öffentliche Diskussion darüber, weil eine solche Maßnahme bei den betroffenen Altersgruppen als Angriff auf einen Besitzstand interpretiert werden kann. Hinzu kommt, dass die jungen Beitragszahler, die durch sie entlastet werden, dies nicht ausreichend wahrnehmen oder nicht als Vorteil ansehen, weil sie selbst später auch länger arbeiten müssen.
Die Erfahrungen mit der 2007er Reform, die in der Bevölkerung sehr unpopulär war, scheinen dies zu bestätigen. Dies mag jedoch an dem falschen Eindruck liegen, der damals in Deutschland entstanden ist, nämlich dass die zwei zusätzlichen Erwerbsjahre eine um zwei Jahre kürzere Rentenbezugsdauer implizieren. Dagegen haben die Niederlande im Jahr 2012 eine automatische Anpassung der Regelaltersgrenze ihrer Grundrente an die Entwicklung der Lebenserwartung beschlossen, die in der Bevölkerung weitgehend akzeptiert wurde. Ähnliche automatische Anpassungsregeln wurden in Schweden und Norwegen eingeführt, indem dort die Rente im Jahr des Renteneintritts nach dem Prinzip einer Leibrente zur aktuellen Lebenserwartung berechnet wird.
Der wesentliche Unterschied zur Rente mit 67 oder einem anderen fest vorgegebenen Rentenalter, wie es z.B. von der Deutschen Bundesbank vorgeschlagen wurde (Deutsche Bundesbank 2016), besteht darin, dass die weiteren Anpassungsschritte über das 67. Lebensjahr hinaus mittels einer transparenten Formel an die Entwicklung der ferneren Lebenserwartung angepasst werden. Die einfachste solche Regel besteht darin, in regelmäßigen Abständen (in Schweden und Italien: alle 5 Jahre) die gewonnene Lebenserwartung festzustellen und sie im Verhältnis 2:1 auf zusätzliche Arbeits- und zusätzliche Rentenjahre aufzuteilen. Jede sich aus dieser Formel ergebende Änderung der Regelaltersgrenze tritt dann nach einer Übergangsfrist von ca. 5 Jahren in Kraft. Durch die beschriebene Automatik werden Änderungen der Altersgrenze in beiden Richtungen - z.B. die ohne lange Diskussion eingeführte und auch daher äußerst unpopuläre Erhöhung der Altersgrenze auf 67 Jahre im Jahr 2007 ebenso wie die teilweise Rücknahme der Reform, wie sie in Deutschland mit der „Rente mit 63" im Jahr 2014 vorgenommen wurde - der politischen Willkür entzogen.
Konsequenterweise sollten mit steigender Lebenserwartung nicht nur die Altersgrenze, sondern auch andere mit dem Lebensalter verbundene Parameter der Rentenversicherung angepasst werden. Dazu zählen die Mindestzeiten für langjährige bzw. besonders langjährige Versicherungen (von 35 auf 37 bzw. 45 auf 47 Jahre) und die Definition des Standardrentners (von 45 auf 47 Jahre), der wiederum das politisch wichtige Sicherungsniveau (Nettorentenniveau vor Steuern) bestimmt.[2] Würde die Figur des Standardrentners 47 anstatt 45 Jahre lang sozialversicherungspflichtig arbeiten, läge das ausgewiesene Sicherungsniveau im Jahr 2030 um ca. zwei Prozentpunkte höher bei etwa 45,5% und könnte bis nach 2050 über der Marke von 45% gehalten werden, ohne dass weitere Maßnahmen erforderlich wären. Würde man auch die Definition des Standardrentners nach 2030 dynamisieren, stiege das Sicherungsniveau bereits vor 2040 wieder an, vgl. Abbildung 4.
Abbildung 4: Vorausberechnung des Sicherungsniveaus bei Dynamisierung
Quelle: Börsch-Supan, Bucher-Koenen und Rausch (2016).
[1] Das Verhältnis 2:1 spiegelt die durchschnittliche Länge des Erwerbslebens (etwa 40 Jahre) und der Rentenbezugszeit (etwa 20 Jahre) wider.
[2] Dies gilt mutatis mutandis ebenso für alle gesetzlichen Altersfestlegungen bei einem flexiblen Renteneintritt, also z.B. das Alter des frühestmöglichen Renteneintritts oder der Mitte des sogenannten „Verrentungsfensters".
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