Republikanismus – ein Konzept für die Umgestaltung der EU?
In seinem Vortrag reflektierte Armin von Bogdandy die gegenwärtige Verfassungsentwicklung der EU und stellte ein Konzept des Republikanismus vor, das auf den in Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) festgelegten Grundsätzen aufbaut und einen kohärenten Ansatz nicht zuletzt für die Umgestaltung des europäischen Steuer- und Sozialstaates bildet.
Prof. Dr. Dr. h.c. Armin von Bogdandy, Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg und Professor für öffentliches Recht an der Universität Frankfurt am Main, hielt am 11. Dezember den letzten Vortrag des ersten Jahres der Vorlesungsreihe „The Future of the Fiscal and the Social State in the European Union“. Über 50 Gäste waren gekommen, um den vielfach ausgezeichneten Wissenschaftler, dessen Arbeiten im Bereich des Völkerrechts und des europäischen Rechts Maßstäbe gesetzt haben, zu hören.
Bogdandy eröffnete seinen Vortrag „The Fiscal and Social State under the CJEU‘s New Principled Constitutionalism” mit einem Geständnis: Er sei Hegelianer und als solcher ein Freund von Begriffen. Und so einen Begriff, nämlich einen tragfähigen zeitgemäßen Begriff des Republikanismus, möchte er den Gästen vorstellen. Dem warf er einen Blick auf die strukturellen Reformen der EU voraus. Seit einem Jahrzehnt überführe der Europäische Gerichtshof (EuGH) seinen seit langem bestehenden funktionalen Konstitutionalismus auf eine neue prinzipienbasierte Ebene, die den verfassungsrechtlichen Kern der Union betont. Mit ihm, dem prinzipienbasierten Konstitutionalismus, habe eine neue Epoche begonnen, erklärte Bogdandy.
Welche Auswirkungen diese „Transformation“ auf die Auslegung des EU-Rechts habe, zeige die Entscheidung des EuGH vom 16. Februar 2022 (C-157/21). Polen und Ungarn hatten die Verordnung (EU, Euratom) 2020/2092 angefochten, die einen allgemeinen Konditionalitätsmechanismus einführte, um den Haushalt der Europäischen Union im Falle von Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten zu schützen. Der EuGH wies die Klagen ab und bestätigte die Rechtmäßigkeit der Verordnung. Der Mechanismus sei notwendig, um den EU-Haushalt zu sichern, und die Verordnung sei ausreichend präzise und verhältnismäßig, um sicherzustellen, dass die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit eingehalten würden. Für Bogdandy ist diese Entscheidung eine „Sternstunde der europäischen Verfassung“, da sie direkten Einfluss auf das EU-Recht nahm.
Soldarität als Schlüsselprinzip des neuen Konstitutionalismus
Bogdandy führte die Solidarität, in ihrer Bedeutung der Fraternité, als „Schlüssel“ zu diesem neuen prinzipienbasierten Konstitutionalismus ein. Anders als beispielsweise in den USA, ziele sie in der EU darauf ab, eine kohärentere und demokratischere europäische Gesellschaft zu fördern. Dies müsse sich auch auf die Auslegung des EU-Steuer- und Sozialrechts auswirken. Doch welches staatstheoretische Konzept leitet diese Reform von einer funktionalen zu einer wertebasierten Auslegung an?
Die Idee einer Europäischen Republik
Bogdandys These: der Republikanismus. Und tatsächlich scheint diese Richtung der politischen Philosophie in vielen Bildern und Zitaten durch, die Bogdandy den Zuhörenden präsentierte: Da ist das 200 Jahre alte Porträt einer blonden Frau – schon damals in den Farben der französischen Revolution gekleidet und Ausdruck einer nationenübergreifenden Verfassungstradition. Heute werde in Artikel 2 EUV von „einer Gesellschaft“ gesprochen und damit eine genuin europäische Gesellschaft unterstellt. Der Republikanismus bilde vor diesem Hintergrund die Basis für ein „brauchbares Konzept, das in der Tradition verwurzelt ist und Antworten auf die Probleme unserer Zeit gibt“, so Bogdandy. Mit weiteren historischen Bildern, Rechtsakten und Dokumenten illustrierte Bogdandy die tiefe Verwobenheit der europäischen Kultur mit republikanischen Ideen. Daran anknüpfend könne Artikel 2 EUV wie ein "republikanisches Manifest" gelesen werden, sagte Bogdandy. Für ein zukunftsfestes Konzept des Republikanismus, der in der Solidarität der Mitgliedstaaten gründet, sei es aber unabdingbar, dass deren Politik mit den Prinzipien des Artikel 2 EUV vereinbar sei.
Mit seinem Vortrag spürte Bogdandy nicht nur einer Renaissance des Republikanismus in der gegenwärtigen Verfassungsentwicklung nach, sondern zeigte auch mögliche Übersetzungen für die politische Praxis, hin zu einem leistungsfähigen Instrumentarium auf dem weiteren Weg zu einem prinzipiengeleiteten Wertekonstitutionalismus des EuGH.