Dieses Projekt untersucht, inwieweit Individuen Vertragsverletzungen als unmoralisch wahrnehmen. Zu diesem Zweck werden Vorhersagen aus verschiedenen Theorien der vertraglichen Verpflichtung den Antworten von Teilnehmer/innen verschiedener online durchgeführter Umfragen gegenübergestellt. Die Teilnehmer/innen lesen ein reales Szenario, in dem eine der Parteien unter verschiedenen Bedingungen und mit unterschiedlichen Folgen für den Schuldner und den Begünstigten einen Vertrag verletzen oder anders als vereinbart erfüllen könnte. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die meisten Menschen Vertragsverletzungen nicht als unmoralisch wahrnehmen, wenn die geschädigte Partei dafür eine Entschädigung erhält. Erfolgt keine Entschädigung, beurteilen Personen jedoch häufig den moralischen Wert einer Verletzung in Abhängigkeit von den Folgen, wobei die Ungerechtigkeit des Ergebnisses - und nicht die Ineffizienz - entscheidend ist.
Das Vertragsrecht spiegelt diese moralische Sichtweise wider und erlaubt es den Gerichten, einen Vertrag aus Gründen der Unmöglichkeit oder Undurchführbarkeit aufzuheben, wenn der Verstoß fair ist und der Schuldner damit außergewöhnlich hohe Verluste vermeidet. Nicht erlaubt ist dies, wenn der Verstoß ungerecht ist und der Schuldner eine Vertragsverletzung begeht, um aus einer substitutiven Transaktion zu profitieren. Darüber hinaus bestraft das Gesetz Verstöße nicht und verlangt auch nicht zwangsläufig die Leistung des Schuldners, sondern zielt vielmehr darauf ab, das Opfer zu entschädigen. Damit spiegelt es wider, wie die meisten Menschen Verstöße aus normativer Sicht wahrnehmen, wenn ihnen eine Entschädigung folgt: als nicht moralisch falsch.
Die Studie wurde 2019 im Journal of Empirical Legal Studies veröffentlicht.
