Schon lange wird im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) versucht, die Verteilung der Vertragsärzte in der ambulanten medizinischen Versorgung nicht dem Markt zu überlassen, sondern durch eine Bedarfsplanung zu steuern. Doch die dafür vorgesehenen Instrumente waren bislang offensichtlich kaum wirksam. Mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz hat der Gesetzgeber dem Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) die Aufgabe, für Verbesserungen zu sorgen, zugeschoben. Der GBA ist der zentrale Akteur des neokorporatistischen Verhandlungs‑ und Regulierungsarrangements, das bis heute prägend für das deutsche Gesundheitswesen ist. In seine Zuständigkeit fällt der Erlass der Bedarfsplanungsrichtlinie, mit der alle für die Bedarfsplanung relevanten und sehr offen gefassten gesetzlichen Vorgaben konkretisiert werden. Der GBA wurde verpflichtet, mit Wirkung zum 1. Januar 2017 „die erforderlichen Anpassungen für eine bedarfsgerechte Versorgung“ zu treffen. Zur Umsetzung hat er jedoch erst im Januar 2017 ein externes Gutachten an ein Konsortium vergeben, zu dem neben dem Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik Forscher von der Ludwig-Maximilians-Universität München, der Universität Bonn, der Universität Greifswald und vom Wissenschaftlichen Institut für Gesundheitsökonomie und Gesundheitssystemforschung in Leipzig gehörten. Das Gutachten wurde im ersten Halbjahr 2018 fertiggestellt.
Auf Grundlage dieses Gutachtens hat der GBA die Bedarfsplanungsrichtlinie überarbeitet und mit Beschlüssen vom 16. Mai und 20. Juni 2019 seinen gesetzlichen Auftrag zu ihrer Anpassung erfüllt. Wesentliche Neuerungen ergeben sich aus dem veränderten Morbiditätsfaktor, der auch zu systematischen Veränderungen bei den Verhältniszahlen mit der Einführung sog. Basis-Verhältniszahlen führt (§§ 8 und 9 Bedpl-RL). Der GBA nahm insofern Vorschläge der Gutachter auf, als zur Ermittlung die Abrechnungsdaten der vertragsärztlichen Versorgung herangezogen werden, ändert aber die Berechnung. Dahinter steht die Einschätzung, dass auch mit einem einfacheren Verfahren ein ausreichender Zugewinn an Genauigkeit erzielt werden kann. Nicht umgesetzt wurde die gesetzlich in § 101 Abs. 2 Nr. 3 SGB V geforderte Berücksichtigung der Sozialstruktur. Allerdings konnte sich der GBA für seine Zurückhaltung auf das Gutachten berufen, nach dem angesichts der gegenwärtigen Datenlage die Aufnahme „von aggregierten sozioökonomischen Variablen in die vorgeschlagene Modellierung“ nicht empfohlen wurde.
Der juristische Teil des Gutachtens behandelt drei Themenschwerpunkte: (1) die Beschreibung, Systematisierung und Analyse bestehender Instrumente und Steuerungsmöglichkeiten, die sich aus dem SGB V, der Ärzte-Zulassungsverordnung und der Bedarfsplanungs-Richtlinie ergeben, (2) die Herausarbeitung der rechtlichen Vorgaben für die positivrechtliche Ausgestaltung der Bedarfsplanung und deren konkrete Bedeutung; (3) die rechtliche Bewertung möglicher Reformoptionen, wie sie sich aus den anderen, die versorgungspolitischen, geographischen, medizinischen und ökonomischen Gesichtspunkte behandelnden Teilen des Gutachtens ergeben.
Seit ihrer Aufnahme in das SGB V haben die Regelungen zur Bedarfsplanung zahlreiche und weitreichende Änderungen erfahren. Sie veranschaulichen die Veränderungen in der Zielsetzung des Gesetzgebers: von der früheren Vermeidung der Überversorgung („Ärzteschwemme“) hin zur Bekämpfung der Unterversorgung des ländlichen Raums. Dazu werden einige Parameter der Bedarfsplanung festgelegt. Das eigentlich zu erreichende Ziel, nämlich die „bedarfsgerechte Versorgung“ wird jedoch nicht gesetzlich definiert. Das bleibt der zweistufig angelegten Bedarfsplanung überlassen. In einem ersten Schritt bestimmt die Bedarfsplanungsrichtlinie die einheitlichen und arztgruppenspezifischen Verhältniszahlen, bildet die planungsrelevanten Arztgruppen sowie die Planungsbereiche. In einem zweiten Schritt werden die planerischen Festlegungen durchgesetzt. Zunächst haben die zuständigen Akteure eine Unterversorgung oder eine Überversorgung festzustellen, um daran anknüpfend zu Zulassungsbeschränkungen (§ 103 Abs. 1 S. 2 SGB V) und zu weiteren Steuerungsinstrumenten greifen zu können. Die Steuerungsinstrumente lassen sich in verschiedener Hinsicht systematisieren: in Bezug auf (1) Steuerungsintensität, Steuerungsprogramme und Steuerungsmodi; (2) die beteiligten Akteure, differenziert nach Handelnden und Adressaten; (c) Rechtsformen, Handlungsformen und Wirkungsformen.
Der Erhalt eines effektiven Gesundheitssystems stellt eine sozialstaatliche Verpflichtung dar und ist damit eine verfassungsrechtlich vorgegebene Aufgabe, die eine ausreichende medizinische Versorgung einschließt. Bei ihrer Wahrnehmung sind sowohl die Grundrechte der Versicherten als auch die der Leistungserbringer zu beachten. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sind verhältnismäßige Eingriffe zur Durchsetzung einer Bedarfsplanung zulässig, wobei dem GBA ein Spielraum bei der näheren Festlegung der dafür zu beachtenden Voraussetzungen zukommen soll. Allerdings bedürfen seine Entscheidungen nicht nur der Begründung, sondern auch ausreichender Grundlagen an Daten und Wissen. Zudem ist seine Rolle nicht zuletzt in der Bedarfsplanung durch zwei jüngere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, in denen auf verfassungsrechtliche Grenzen der Einschaltung des GBA als Normgeber hingewiesen wird, in Frage gestellt. Das alles steht im Zusammenhang mit der Dichte der gesetzlichen Vorgaben, deren Anlage und Auslegung wiederum wesentlich für die rechtliche Beurteilung der Entwicklungsoptionen sind.
Der rechtliche Teil des Gutachtens trägt auf mehreren Ebenen zur Weiterentwicklung der Bedarfsplanung bei. Die Systematisierung, Analyse, und Bewertung hilft, bestehende Instrumente und Steuerungsmöglichkeiten der ambulanten ärztlichen Versorgung im Gesamtkontext der Bedarfsplanung zu verstehen. Zugleich wird der Rechtsrahmen aufgezeigt, in dem sich die in den anderen Teilen des Gutachtens erarbeiteten Vorschläge zur Weiterentwicklung der ärztlichen Bedarfsplanung bewegen können. Schließlich soll er dazu beitragen, die Entscheidungsgrundlage des GBA weiter zu verbessern und Steuerungsinstrumente der vertragsärztlichen Bedarfsplanung besser zur Entfaltung zu bringen, damit eine flächendeckende und für alle Versicherten zugängliche vertragsärztliche Versorgung in Deutschland sichergestellt werden kann.